Es ist der Todestag eines nie denkbaren Krieges. Er ist wie jeder andere: Grässlich und
sinnlos. Er raubt uns den Glauben, dass der ewige Frieden einmal kommen wird. Eine
Ernüchterung, die nichts ist im Vergleich mit dem Leiden, das die Menschen in der
überfallenen Ukraine erleben und die unschuldigen Soldaten beider Seiten ertragen
müssen. Es ist der immergleiche Irrsinn, der die Menschheit immer wieder hervorbringt und uns verzweifeln lässt, was nun die menschliche Seele sei: Eine tolerante, sanftmütige und gemeinschaftlich zuvorkommende oder eine Bestie, die zu allem fähig ist, quält, foltert und tötet?
An diesem Tag Intolleranza 1960, eines der zentralen Werke von Luigi Nono, dem grossen Komponisten des 20. Jahrhundert, anzuhören, anzuschauen, richtiggehend körperlich zu erleben, geht unter die Haut. Mitentscheidend die Inszenierung von Benedikt von Peter, bei der das Publikum ins Geschehen integriert wird. Man sitzt und liegt auf der Bühne - Chor und Solisten sind wie Seinesgleichen und gehen um die ergriffenen Zuschauer singend, sprechend und schreiend herum. Darunter versteckt aber trotzdem präsent das Orchester als Gefangene in einem menschenunwürdigen Graben. So treffen die messerscharfen Akkordwolken von Nono direkt ins Herz. Noch besser kann ich nun verstehen, warum Komponisten von Nono und ihrer Generation die an Brutalität grenzende Musik aus sich heraus schrieben. Die Kriegserfahrung und das Leid der Ungerechtigkeit ist omnipräsent. Es ist Realismo in Reinform.
Leise in den Klängen und den gut verständlichen Worten (dank der Projektion) entwachsen die Keime der Hoffnung und Menschlichkeit. Angelo Maria Ripellino, Bertold Brecht, Julius Fučíks, Jean-Paul Satrte und andere tragen dazu bei. Aber das Werk beginnt im Grauen und endet im Grauen. Es sind die Töne, die mich an die wunderbare Aufführung von Helmut Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern an der Oper Zürich als Ballett von Christian Spuck erinnern. Es ist das Dunkle und Zitternde, das vorherrscht und leise erglimmen dazwischen leise Hoffnungsklänge. Das Schicksal wollte es, dass Helmut in persona gestern anwesend war und die Inszenierung brachte es mit sich, dass er mir gleich gegenüber sass. Ich spürte den Weltengang, das Fortschreiten der Musikgeschichte mit allen Sinnen. (Nono war der Schwiegersohn von Schönberg – Lachenmann der einzige Schüler von Nono). Ich verstehe nun besser, wie Helmut zu seiner Klangwelt kam und seine einmalige Musiksprache einer inneren Geschichtslogik folgt.
Nach diesem eindrücklichen Opernabend kommen viele Gedanken hoch. Wo stehen wir
heute? Was kann Kunst heute nach Jahrzehnten des eindringlichen Realismo der
Grausamkeit und Leides – inbesondere in der Komposition? Ein beklemmendes Gefühl
bleibt hinsichtlich der Tatsache, dass trotz der kaum überbietbaren Eindringlichkeit der
Intolleranza 1960 des Theater Basel, der Krieg und die Folter noch viel schlimmer sind –
letztlich unbeschreiblich. Die Pflänzchen der Hoffnung – an denen müssen und können wir uns festhalten. Sie klingen hervor, leise und zart. Es ist auch bald Frühling – die Gedanken sind dabei in der Ukraine und bei allen Gefangenen und Unterdrückten.
Matthias Mueller da Minusio
compositore
www.matthiasmuellerdaminusio.com
info@matthias-mueller.ch
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