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Writer's pictureMatthias Mueller da Minusio

Die Oper zieht uns ewig hinan


Was war das nun am Theater Basel (Uraufführung von Pferd frisst Hut, 4. November 2023)? Eine Oper? Eine musikalische Komödie? Oder eine Operette, ein Musical gar? Die Kommunikation der Kulturstätte am Rheinknie ist zweideutig. Es wird als Oper beworben und als musikalische Komödie bezeichnet. Das passt zur Message dieses Klamauks mit Staraufgebot. Die Aushängeschilder sind die beiden Herbert, der Theaterregisseur Fritsch und der Popballadenstar Grönemeyer. Es spielt ein grosses Orchester auf, dass es unumgänglich war, dass die Musik von Thomas Meadowcroft souverän eingerichtet werden musste. Die Basis bildet das erfolgreichste Vaudeville Theaterstück eines Eugène Labiche, das von Sabrina Zwarch umgearbeitet wurde. Eine alte Theaterform mit Musik mit Höhepunkt in Paris, bei der Kunst als Sorgenvergessens-healing fungiert. So wird aus dem Florentinerhut die Oper Pferd frisst Hut. Das Sprichwort der vielen Köche spinne ich hier nicht weiter. Grönemeyers statments dazu: «Man lebt für die verrückten Sachen, die Strenge kommt von alleine» - «ich habe es gerne oppulent, melodiös und im schönen Sinne kitschig und rühre damit Menschen an» - «Warum guckt man bei klassischer Musik immer so ernst?» - dieses Potsmoderne anything goes wird bei dieser Opernkomödie bestens eingelöst. Aber Hand aufs Herz: Die klassische Musik auf ihren Ernst zu beschränken, zielt alleine auf den ritualisierten überraschungslosen repetitiven Betrieb von heute. Blickt man die ganze Musikgeschichte bis heute und ihre Protagonist:innen etwas detailierter an, dann entdeckt man da alles, inbesondere auch Witz, Humor und Verrücktes.


Grönemeyer beginnt klassisch, alles andere als ver-rückt: Das Orchester spielt eine lange Ouvertüre bei geschlossenem Vorhang. Nachdem Mozart hier musikalische Massstäbe gesetzt hatte, wurde sie im Laufe der Operngeschichte abgeschafft. Er hatte bei Cannabich und Stamitz in Mannheim gelernt, wie effektvoll mit einfachen Harmonien komponiert werden kann. Das barocke Umhergewinde über einem Generalbass mit schnellen Wechseln wich einer Einfachheit, die bis heute die Basis jedes Popsongs, jeder Nationalhymne und auch vieler Volksmusiken bildet, insbesondere die spät entstandenen, denen kommerzielle und politische Interessen unterliegenden, wie in der Schweiz. Mozart hat die Einfachheit sofort in einen Reichtum verwandelt, der von den grossen Tonkünstlern im 19. Jahrhundert immer mehr ausgebaut und sich zu den musikalischen Hochblüten entwickelte, von denen der Klassikbetrieb weiterhin zehrt. Ob Grönemeyer das studierte und die Kunstentwicklung rund um die Oper assimilierte? Er war Theatermusiker, aber der Weg zur Oper ist ein weiter.


Die verstaubte Gattung Oper dürstet nach frischem Blut, nach neuen Ansätzen, denn eine Oper zu produzieren ist teuer und aufwändig. Ein Opernhaus muss sich legitimieren zumindest mit verkauften Karten. Immer nur den Barbier von Sevilla, den Freischütz oder die Carmen als neu zu verkaufen ist ebenso anstrengend wie nicht möglich. Das Theater Basel (warum es wohl nicht Oper heisst?) geht hier eigene Wege und probiert aus. Im einmaligen Foyer des 1975 eröffneten Baues lebt und vibriert es. Hier braucht man weder spezielle Kleider, noch ein akademisches Studium oder einen satten Monatslohn, dass man sich wohlfühlen kann. Hier läuft Nonos Intolleranza und nun Grönemeyer/Fritschs Komödie.

Diesmal also Pop meets Elitekultur: Nirgends würde das besser gehen als in Basel. Als Liebhaber von Liedermachern, wie Jacques Brel, Konstantin Wecker, Mani Matter oder Angelo Branduardi – Bewunderer von Brechts/Weills Dreigroschenoper oder Musicals wie Hair, aber auch geschult in der klassischen Kompositionswelt, ist die Latte hoch gesetzt. Hoch gesetzt ist sie auch, weil ich Grönemeyer als Balladenmusiker schätze und Fritschs Fantasiearbeit insbesondere von Produktionen wie Murmel, Murmel nach Dieter Roth als kraftvolle Kunsteruptionen positiv gegenüber stehe. Das Duo der beiden Herbert passt auch zusammen.


Aber soll es eine Oper sein? Der Premiereabend gibt den Eindruck, dass sie sich mit der Last der Operngeschichte nicht quälten – Pferd frisst Hut verströmt eine rührende kindliche Naivität, die der Klassik in der Tat abgeht. Auch schön, dass Basel hier grauhaarigen weissen Herren eigentlich politically uncorrect eine grosse Plattform offen legt.


Der Labiche-Text bietet keine Doppelbödigkeit und ein Vergleich mit Bertold Brecht lässt man vorneweg besser gleich sein. Die Protagonisten auf der Bühne sind gefordert: Singen, Sprechen (mein Eindruck es wird mehr gesprochen als gesungen) und Komikeinlagen und allerlei virtuose Körperverrenkungen sind verlangt. Hut ab, was sie leisten. Aber kann das Höchstqualität sein? Seit dem rollenden «r» von Edith Piaf aber eben auch Grönemeyers fast krächzendem Gesang, wie auch bei Bob Dylan und Tom Waits wissen wir: Ihre Kunst lebt nicht von künstlich geschulter Stimmbehandlung und – Virtuosität, sie lebt von der Verbindung aus Text und Musik, die diesem dient. Ihr stimmig in sich gegossenes Schöpferinterpretentum erlaubt, dass die einzelnen Kunstaspekte nicht auf höchstem Niveau sein müssen. Fällt dies aber weg, werden die Mankos offengelegt.


Ist ein Sinfonieorchester nun die richtige Combo, um die kraftvolle und gefühlsgetränkte (aber auch höchstgradig simple) Musik vom Grönemeyer zur Geltung zu bringen? Gerade ein Werdegang wie jenem von Jacques Brel der ganz am Schluss mit François Rauber den kongenialen Partner fand, zeigt, wie heikel die Gratwanderung ist und der süsse Streicherklang zum Kitsch wird. Bei der Premiere gestern erinnerten mich die bläserlastigen Stellen an die Kompositionsweise, die sich in der Blasmusikszene eingespielt hat. Man geht in der Harmonik etwas über die Mannheimer Klassik hinaus, unterfüttert es mit jazzartigen Rhythmen, bleibt aber der funktionsharmonischen Dreiklangsmusik ergeben. Aber da stolpere ich über meine Erwartungshaltung, die sich bei Weill und Strawinsky aufgebaut hat und erhalte zu wenig Nahrung und werde weder durch tiefsinnige Texte noch kraftvollen Beats mit Adrenalin versorgt. Erstaunlich stiefmütterlich wird das Schlagzeug eingesetzt und umso altväterlich plätschert die Musik dahin.


Musik und Theater sind nicht leicht zusammenzubringen. Die Sternstunden der Geschichte lehren uns das wie auch die vielen immer schnell vergessenen Experimentierfelder des weniger Gelungenen, die den eigentümlichen Vorteil haben, die Abgründe des Kunstrisikos aufgezeigt zu haben.


Der Abend lässt sinnieren über Elite- und Volkskunst. Für wen sollen Opern sein? Wieviel Vorbildung muss vorausgesetzt werden dürfen, dass man von Kunst begeistert werden kann? Elite wie Volk sind heikle Begriffe, die weder abgrenzbar noch klaren Zuteilungen gehorchen. Elite ist heute eh ein verrufener Begriff, bei dem jeder und jede rechtschaffende:r Politiker:in die Knie zittern von dem Druck der populistischen rechtsnationalen Kulturverklärung, die immer mehr Felder besetzt und im Sinne hat, letztlich alle nutzlosen Künstler:innen zu eliminieren. Sie wollen die Kunst ins Private verbannen, weil angeblich keine Interesse beim Volk besteht und die Kunst dann erst recht in abgeschlossene elitäre Zirkel zu versorgen – wie schnell doch vergessen geht, dass Kunst vorbehalten für eine Artistokratie, sei sie des Blutes oder Geldes geschuldet, kein Segen ist. Dagegen hilft auch nicht die Betonung, dass es im Übrigen auf allen Gebieten Eliten gibt: Im Fussball, in der Kochkunst, aber auch im Fahren von Vehikeln, die der Kunstelite vice versa vorbehalten sind. Uns geht es nur so gut, weil sich durch Eliten Höchstleistungen abzeichnen. Die Kunst gehört unweigerlich dazu, war aber immer dem Antintellektualismus, der heute salonfähiger denn je ist, schutzlos ausgeliefert. Wir leben in getrennten Welten, die sich komplex überschneiden und durchlässig sind. Die Kunst muss sich nach Höchstleistungen orientieren, die über die nette Unterhaltung hinaus gehen, bei gleichzeitiger Fähigkeit anschlussfähig für Nichtspezialisten zu sein. Kunst war und bleibt eine Angelegenheit einer allen offenstehenden Elite, die mit Vorbildung mehr Verständnis bietet und für die Ewigkeit geistige Werte schaffen kann.


Ende gut, alles gut? Offen gesagt, ich wurde enttäuscht, weil ich Grönemeyer und Fritsch viel kraftvoller kenne, so dass es unter die Haut geht und nicht sanft über die Haut streichelt. Am Schluss in Massenszenen und mit kraftvoller Verve (endlich!) und farbigsten Gewändern wird ein Furioso gezündet, das man sich einfach früher auch schon gewünscht hätte. Die bravurösen Einzelleistungen wie von Christopher Nell als Fadinand und allen Mitperformern vermögen nicht genug tragende Kraft erzeugen im Verhältnis zur beträchtlichen Dauer des Werkes. Fritschs Markenzeichen, den Applaus in die Produktion musikuntermalt miteinbeziehen, erfrischte bis es dann zum absoluten Höhepunkt kam: Herbert Grönemeyer war da und seine markante schwarze Brille (offenbar Basler Provenienz – sic!) war zuerst in der Menge erkennbar bis dann natürlich die Ehrung entbranden durfte: Dem Meister der Massenverführung darf in ungewohntem Rahmen der Beifall und die Bravo-rufe entgegengeworfen werden. Eine Ehrung, die er für sein Lebenswerk verdient, weniger als Beisteurer von Songs für ein musikalisch-theatrales Gesamtkunstwerk. Eine Oper kann schlicht und einfach mehr sein.


Wenn die älteren Herren sich dem Anziehungspunkt Oper nicht widersetzen wollten und derem Faszinosum erlegen sind und mit jugendlicher Unschuld in beträchtlichem Alter zum ersten mal der Königsdiziplin der Komposition anzunehmen wagten, war die Freude spürbar, die alle Boomer nicht verlieren müssen, wenn auch die Gelenke immer mehr Schmerzen bereiten. Der Lauf der Zeit fliesst dahin, aber das Ewigwertvolle zieht uns immer hinan, von Generation zu Generation. Es gilt aber gerade auch in der Kunst: Ne sutor ultra crepidam – resp. Meister fallen nie vom Himmel.

Das Theater lebt, die Oper könnte durchaus auch leben!


Matthias Mueller da Minusio

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