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Aimez vous Brahms?

Writer's picture: Matthias Mueller da MinusioMatthias Mueller da Minusio

Updated: Apr 30, 2023

Welch Ironie der Kunstüberlieferung des Bonmot von François Sagan, das durch die

Verfilmung von Anatole Litvak populär wurde: Brahms, die sowohl fachliche wie

menschliche Integrität, in dieser Hinsicht dem Rivalen in Bayreuth um

Meilen überlegen, war zeitlebens gegen alles Französische. Der Krieg 1871 zwischen Frankreich und Preussen, um eine blödsinnige Thronnachfolge brannte sich auch den genialen Tonkünstlern im Gehirn ein. Brahms verachtete das Französische – Debussy vice versa das Deutsche. Was 1914 aus dieser europäischen Tragödie folgte, muss nicht

erwähnt werden.


Kunst ist nicht national! Sie kann schon gar nicht von Kriegstyrannen vereinnahmt werden. Brahms wird in der ganzen Welt geliebt. Wenn wir heute etwas brauchen, ist es die Besinnung, dass nationales Grossmachtgebahren transzendiert werden muss und die immer gleiche Männerlogik, die meint mit ihrem Wahnsinn ganze Völker sich gegenseitig abschlachten lassen zu müssen, gehören bis aufs letzte bekämpft. Leider bis heute. Die Kunst kann das nicht richten, aber sie kann Mahnmale setzen. Wer liebt nicht Brahms? Es sind nur Kunstbanausen. Brahms, der es sogar schaffte mit dem Titan Beethoven im Nacken ebenbürtig zu dialogisieren und ihn weiterzuentwickeln, ist der absolute Musiker schlechthin, der die Musikgeschichte vom Organum bis zu Schumann in seine einmalige unverkennbare Musik integriert.


In Lugano, am 14.April 2023 im einmalig gelegenen LAC im schmucken Lugano, durften wir Zeugen werden dieser Einzigartigeit. Für Musik braucht es den komponierenden Geist und die interpretatorische Meisterschaft. Wenn sie zusammentreffen sind Sternstunden der Musik möglich. Brahms und Zimerman ist ein solches Gespann. Der unangefochtene Pianist der Champions League, ist eine lebende Legende. Im gleichen Atemzug muss der unvergessliche Leonard Bernstein genannt werden. Youtube erlaubt uns Zeugen zu sein, wie der jugendliche polnische Tastenzauberer und der locker coole amerikanische Komponistendirigent die Klavierkonzerte in Wien vom Norddeutschen in nicht überbietbarer Weise live auf Film einspielten.



Der jugendliche und frühreife mit Wettbewerbswürden bestückte Unspund ist mittlerweile mit wunderbarer grauer Haarpracht bestückt und lässt uns weiterhin Staunen, was aus 88 Tasten herauszuzaubern möglich ist. Nun ist es aber nicht mehr der gezügelte Sturm und Drang der fasziniert, sondern die Würde und Gelassenheit eines wahrlich grossen Künstlers, dem es nur um etwas geht: Um die Kunst und Musik - der zu 100% sein Ego hinter die Wunderbarkeit der Tonschöpfung stellt. Welch Kontrast zur heutigen schnelllebigen Rekordsucht im vom Business getragenen solipsistischen Gebaren der heutigen Jetset Generation.


Zimerman präsentiert sich hier in Lugano nicht in einem Solokonzert, sondern als

kongenialer Kammermusikpartner, der (sicher von ihm sorgfältige ausgewählte)

wunderbare Musiker:innen um sich gruppiert um die Opera 26 und 60 zum klingenden

Wunder zu zaubern. Wie sehr sie es schätzen, mit diesem Humanisten unter den

Interpreten spielen zu dürfen, wird beim sympathischen Applausgebaren offensichtlich. Er hält sich grossväterlich im Hintergrund und seine Mitmusiker:innen Marysia Nowak an der Violine, Katarzyna Budnik an der Viola und Yuya Okamoto am Cello, beklatschen ihren Spiritus Rector lächelnd.

Brahms hat es vorgezeichnet: Insbesondere im reiferen Opus 70 (1875), bei dessen

Uraufführung Richard Wagner zugegen war, nimmt der Pianist eine zurückgenommene

Position ein. Im in Lugano im zweiten Konzertteil gespielten Opus 26 (1861), das der 28

jährige selber uraufführte tritt das Klavier solistischer in Erscheinung. Der erste Satz ist noch ganz Schubert verpflichtet. Dann kommt die Überraschung im 2. Satz – gestern für mich der Höhepunkt des Abends – in dem der Pianist wie bei einem Klavierkonzert sich kurz nach vorne brillieren darf, dann aber kontrastiert wird durch die totale Zurücknahme: Das Cello beginnt damit solo in einem Takt zwei Töne zu repetieren. Die anderen übernehmen dieses kindliche Spiel mit 2 Tönen. Es ist die Feuerprobe für jede:n Komponiste:in, wenn man sich wagt in dieser Zurückgezogenheit die Schlichtheit für sich alleine stehen zu lassen. Da kommt mir Mozart in den Sinn, der die Einfachheit beherrschte wie kein anderer, die nie Gefahr läuft banal und inhaltlos zu werden. Brahms kontrastiert sein Zweitongeplänkel im Opus 26 mit einer ersten Erruption im Klavierpart. Liegt es am immer wieder durchbrechenden Moll, dass dieser Satz an diesem Abend die Glieder der Zuhörer erstarren lässt?


Ja, der vielgeliebte Brahms bleibt der Dur-moll-Tonalität treu. Er kostet sie bis zum letzten aus, aber er macht den Sprung über die Donau nicht, sondern überlässt dies Gustav Mahler und natürlich Arnold Schönberg, dem grossen Brahmsverehrer. Das liebe Dur, das uns von der Naturtonreihe geschenkt wurde und wir schon lange unrein mit zu hohen Terzen anhören müssen, weil die Modulationsfarbigkeit dies schon seit Schubert verlangt – dieser musikspezifische Exkurs sei mir hier erlaubt. Kompromisse alla Mittelton-Werkmeister-Mozart oder Kirnberger-Beethoven sind nicht mehr möglich. Aber bei Brahms klingt die Naturtonreihenmusik nie abgelutscht wie bei Wagners Akkordorgien (für mich unerträglich lange im Rheingoldvorpiel – Es- dur in allen Ehren) oder wie heute in den immergleichen Popsongs oder der Schweizer Volksmusik mit ihren simplen Kadenzabfolgen, die nicht vom Volk stammen, sondern von den klassischen Tonmeistern abgeguckt sind. Jede Nationalhymne auf der Welt muss imperialistisch anmutend in Dur gehalten werden. Oh, wie viel ausdruckstärker ist doch das Moll. Mozarts Pariser Klaviersonate a-moll nach dem Tod seiner Mutter geschrieben, zeichnete es vor. Beethovens Moll-Erfolge müssen hier nicht ausgebreitet werden. Brahms Moll-Ton: Auch für uns überschulten Akademikerohren einfach ein Herzbeweger erster Güte. Man mag das auch mit dem Ungarischen in Verbindung bringen, man muss es aber nicht. Der Antipode des natürlich Durigen macht

keine Temperierungsprobleme und trifft unsere tief liegende Sentimentalität. Als Klarinettist vor allem mit dem Spätwerk Brahms vertraut, kenne ich die einmalige Dur-

Moll Behandlung von ihm, die er an der Bachschen Harmonik geschult hat. Der

Appassionatoton in Moll ist ebenso einmalig, wie die Erruptionen in oftmals rhythmisch

markant unterzeichneten Passagen.


Aber der denkwürdige Abend in Lugano hat es wieder gezeigt: Nicht die extrovertierte

Ungestümtheit überwältigt uns am meisten, sondern die leise und sanfte Toneinflössung in langsamer Sentimentalität. Dem Meister und den grossen Interpretenv von gestern sei dafür gedankt. Krystian Zimerman wird als ganz grosser seiner Zunft in die Geschichte eingehen. Aber auch als politisch engagierter Künstler, der sein Patron Bernstein pazifistisch fortführend, die Musik in vollendeter Humanität erklingen lässt. Das stehend ovatierende Publikum bettelte um eine Zugabe. Zimerman mag nicht mehr und deutet es mit feinstem Humor an: Lächelnd zeigt er uns gestisch sein Schlafbedürfnis an. Hoffentlich spielt er noch lange so weiter und lässt uns immer wieder die Aura von Brahms höchstpersönlich in den Saal zaubern. Nous aimons Brahms et toute la beauté de la musique!


15.3.2023 Matthias Mueller da Minusio




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