Wenn wir ins Theater gehen, möchten wir etwas erleben und mit möglichst allen Sinnen
angesprochen werden. Die Künste sollen sich durchdringen und ein Wechselbad der Gefühle auslösen und unseren Geist vielschichtig ansprechen. Keine Stadt ist diesem Kunstgenuss so verfallen wie Wien mit der unvergleichlichen Tradition. Mozart, Mahler, Berg: Die Ahnenreihe ist lang und beschränkt sich nicht nur auf das musikbasierte Theater.
Gestern Samstag wurde die Donaustadt Zeuge eines evtl. geschichtsträchtigen Ereignisses. Die Volksoper bat mit hochstehender Kunst eine internationale Schar von Interessenten in einen Theaterraum, in dem sonst eher die leichte Kost und das Populäre unter das Volk gebracht werden muss. Das Verwirrspiel, das für das Kreativteam durchaus Programm war bei Die letzte Verschwörung, nahm hier ihren Anfang. Moritz Eggerts jüngster Streich ist eine Operette und passte deshalb bestens ins Programm der neuen Direktorin Lotte de Beer, die bei der Welturauffühung die Regie gleich zur Chefsache erklärte und als Dompteurin auch gleich die Handlung zum grotesk anmutenden Ende führte.
Bei einem Gesamtkunstwerk dieser Art ist es nicht leicht zu analysieren, wer aus dem
grossen Pool an Mitwirkenden für was verantwortlich war. Eggert als Spiritus Rector und
omnipräsente Stimme aus dem Off, dass dem Werk eine der vielen Ebenen gab, legte
natürlich den Grundstein zumal der vielseitig Begabte auch gleich noch den Text lieferte.
Verblüffend war aber an diesem Abend, das alles, was in anderen Fällen als leicht quälendes Zusammengewürfel erscheint, wie aus einem Guss auf allen Ebenen zu einer Einheit zusammenwuchs: Das hochromantische Grossorchester, die Solisten, der Tanz, das ständig wechselnde Bühnenbild, die Kostüme, die mythologischen Anspielungen und natürlich die Komposition. Ganz verblüffend wie der Einsatz der Elektronik (möglicherweise massgebend verantwortet vom Sounddesign von Martin Lukesch) sich selbstverständlich in den Orchesterklang integrierte resp. daraus herauswuchs. Das Gleiche gilt für das Videodesign von Roman Hansi und Christof Hetzer. Videobilder gehören ja heute zum Muss einer Operninszenierung, aber allzuoft verkommt sie zu einem netten Dekors, in der Verpflichtung den Anstrich der Modernität zu verleihen.
Da sieht man den Vorteil einer Ausgestaltung eines neuen Werkes mit genuinen
Neuschöpfungen auch allen Ebenen. Die Zeitgemässheit muss nicht krampfhaft aufgesetzt werden und quasi dem Werk überstülpt werden. Die spielerische Lust gemeinsam etwas zu gestalten, das am Puls unserer Zeit sich bewegt, ist fortwährend spürbar. Die Verschwörung und die Infragestellung anerkannter Wahrheiten beschäftigt unsere Gesellschaften nach dem Ende des modernistischen Positivismus besonders heftig. Corona hat das nur torpediert. Es ist die Fragestellung der Epistemologie, die dem menschlichen Denken seit eh zu Grunde liegt.
Dem Werk liegt eine absurde Handlung zu Grunde, die aber gerade beängstigt, weil sie der möglichen Realität ähnelt. Heute kann an allem gezweifelt werden, dass unsereiner fast verzweifelt. Flatt-Earther und Illuminaten etc. durchwachsen unsere Gesellschaften bis in seriöse Fernsehtalkshows und in höchste politische Ämter. Sie zerstören mit ihrem aberwitzigen Glauben Freundschaften und Familien. Unterwandert wird das Vertrauen. Die Hauptrolle Friedrich Quant (brilliant: Timothy Fallon) ist plötzlich wie besessen vom Geglaubten wider der wissenschaftlichen Mär. Belustigt und fast beklemmend schaut das Publikum obszön auf die Innereien, die die Volksopercrew uns vor Augen führt.
Aber der Lobgesang gilt in diesem Fall dem Schöpfer Moritz Eggert. Mit welch verblüffender Leichtigkeit er der Schwierigkeit der Transdisziplinarität trotzt und ein Mahl serviert, das wie in guten alten Zeiten Kenner und Liebhaber zu begeistern vermag. Der Schwall an faszinierenden und farbigen Klangereignissen erquickt das Ohr als hätten wir Tonsetzer uns nicht in der vergangenen Epoche daran abgearbeitet, dass die Musikgeschichte an ihr Ende gekommen ist und die 12 Töne nur die Verweigerung des Klanges als Ausflucht ins Reich des Neuen zuliessen.
Danke, Moritz für dieses Klang- und Kunstereignis das zuerst das ganze Team in Bann
gezogen haben muss und nun uns Publikum zum Glaube an unsere musikalische Zukunft führt. Es gibt sie die originalen Klanglandschaften jenseits simplizistischer Einfachheit resp. auftürmender Kompliziertheit. Es gibt ein auf Musik basierendes Theater, das alle Künste zum Gesamtereignis amalgamiert und in ein 21. Jahrhundert verweist, das endlich wieder mal die selbstzerfleischende Krampfästhetik hinter sich lässt. Kein Wunder: Es interessiert nicht, ob das nun eine Oper, eine Operette, ein Musical, oder Musiktanzlichtvideotheater ist. Es ist Theater, das unter die Haut geht.
Danke Volksoper Wien, danke Lotte de Beer, dass Die letzte Verschwörung mit gleicher
Detailliebe und Aufwand das Tageslicht erblicken durfte, wie das sonst nur die
Meisterwerke der Vergangenheit normalerweise dürfen. Wenn wir nicht an die Zukunft und unsere eigene Schaffenskraft glauben, schaufeln wir mit Sicherheit das eigene Grab. Bitte verübelt mir nicht, dass ich nun das Haar in dieser Kunstsuppe nicht suche: Gute Kunst transzendiert die Schubladen der Klassifizierung und darf einfach erfreuen und uns zu wahrer Lebendigkeit animieren. Der Hut ist voller Bewunderung gezogen.
Matthias Mueller da Minusio, compositore
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