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Die Patina des Duells an der schönen blauen Donau

Updated: Nov 9, 2023

Gestern durfte ich in der Wiener Staatsoper einem Gesamtkunstwerk beiwohnen. Der Saal aus dem 19. Jahrhundert ist für einen Zürich-verwöhnten Opernkomponisten zwar etwas enttäuschend (erstaunlich kalt ist deren Ausstattung) aber bis man im Saal Platz nehmen darf, wird man mit Eindrücken überschüttet, die wohl vielen Besucher:innen viel wichtiger ist als die musikalische Umsetzung des russischen Tondichterheldens Pjotr Iljitsch Tschaikowski, der nach eigenem Gutdünken ein Werk des Nationaldichters Alexander Sergejewitsch Puschkin, zu seiner einzigen noch gespielten Oper Eugen Onegin umformte. Das Werk ist populär, auch in der Schweiz – viele Häuser liessen Regisseure dieses Werk, das tief im russischen Feudalismus verankert ist, mit allen sexistischen und standesmässigen Verkrampftheiten und Unterdrückungen, in die freiheitliche woke-Gegenwart transportieren.


Es ist nicht meine Aufgabe und Absicht, hier eine Kritik zu schreiben, wie sie die noch knapp existierenden Feuilletons unserer geldgeplagten Medienhäuser, in etwas öder

Gleichförmigkeit wiedergeben – die Ausnahmen bestätigen hier nur die Regel. Ich schreibe jetzt nicht in erster Linie um die bedenklich schlechte Intonation der Holzbläser, die Unkoordination der Streicher und die Mühe die die Wiener Philharmoniker mit einfachen Synkopen haben, zu beklagen. Ich schreibe auch nicht über die Fragwürdigkeit einer Inszenierung, die es fürwahr wagt, das Symbol des lebenden grässlichen feudalen Kriegsherrn im Kreml, sein grotesk langer Tisch, während der ganzen Aufführung als Symbol der Macht und dessen Durchhaltewillen huldigend und massiv zu positionieren. Wie kann so etwas in Wien durchgelassen werden?


Ich will nun auch nicht die Vorzüge des farbigeren Opernlebens in der Schweiz hervorheben– wenn auch einem Musiker der frappante Unterschied der Opernorchester an der Limmat und Donau ins Ohr sticht und der Musikprofessor nur die Vorzüge seiner Heimat loben könnte. Hierzu eine einfache Erklärung: Mein Soloklarinettisten-Kollege in Wien (der mit wunderbarem Klang den andauernden Dur-schmelz des Russen geschmeidig bläst) sagte mir vor der Aufführung, dass er nicht wisse, wer neben ihm heute auch noch spielt, dann ist klar, dass die Orchestergruppen nicht das Etikett Weltklasse erreichen können.


Also: Es geht mir für einmal um das Werk! Ja in der Oper geht es auch um Werke, nicht nur um mögliche Sänger:innenversagen, glänzende und letztlich überschätzte Dirigate und alle möglichen und unmöglichen Selbstverwirklichungen von den hoch eingestuften Regisseur:innen. Weil ja verschwindend wenig über die Werke berichtet wird, weil sie scheinbar bekannt sind und keinen neuen Stoff bieten, kann gerade das ja nun wieder etwas aktuelle Brisanz erhalten. Denn Tschaikowskis Oper gehalten in klassischer Form durch und durch, ist ein ebenso paradigmatisches wie problematisches Werk. Dass der Russe mit auch ukrainischer Abstammung bravouröse Klavier- und Violinkonzerte als Erstlinge schuf, ist unbestritten. Dass seine Sinfonien nicht an Beethoven, Brahms und Bruckner heranreichen ist nicht patriotisch verblendeten Kennern klar. Nun die Oper, die Königin der Künste und eine Herausforderung an Komplexität für jeden Tondichter musikalischer Provenienz. Sie ist eine musikalische eine Challenge wie auch ein Understatment, weil die Musik nicht mehr absolut anführt. Warum Brahms das ihm von Victor Widmann geschriebene Libretto letztlich nicht umsetzte, mag damit zusammenhängen. Warum sich der in der Staatsoper mit einem Saal geehrte Opernrevolutionärsdirigent Mahler nicht an ein Gesamtkunstwerk

wagte, ist auch erstaunlich und zeigt wohl: Gerade diese Form verlangt etwas Eigenes, das Spezialisten wie Verdi, Wagner, Puccini oder aber auch Lloyd Webber, sich aneigneten. Das macht den über allen schwebende Wolferl Mozart zum Alleinerkennungsmerkmal: Er schuf Meisterwerke sowohl in der Kammermusik, Sinfonik und auch Oper. Alban Berg gelang das auch wieder, selbstredend mit viel weniger Popularität.


Tschaikowski war ein braver Schüler und lernte bei allen seinen Kollegen. Ein Abend lang wird einem die einfachste Funktionsharmonik in die Ohren geträufelt, dass bereits ein verminderter Akkord Aufsehen erregt. Rhythmisch stechen besagte Synkopen hervor. Eigene formale Innovationen wie beim Visionär Wagner: Weit gefehlt - der:die Rezipientin darf getrost alle wunderbaren Häppchen, die in den gewunden goldigen Gängen des Prunkbaus zu Wien feil geboten werden, verdauen. Nicht einzuschlafen, zuweilen die einzige Herausforderung an uns Publikum.


Natürlich kann das krass ungenügende Dirigat und die hier gewählte Grosstisch-

Inszenierung mit viel Biedermeier und Plüsch (am Schluss alles bluttrunken rot – das kratzt uns Kriegsbeobachter evtl. mit einem leisen Schauern am Genick) nicht wirklich dem Schlafbedürfnis entgegenwirken. Tschaikowski wollte evtl. einfach gute Unterhaltung bieten. Im 19. Jahrhundert gelang ihm das wohl. Aber heute schaudert es den gebildeten reflektierenden Kenner: Etwas vom Dümmsten, was die patriarchale Dominanz hervorbrachte war wohl das Ehrenduell! Onegin darf ungestört und ungesühnt morden! Warum lassen wir das heute unwidersprochen über unsere hoch subventionierten Bretter verkünden? Das einzig Positive ist, dass die im Plot immer selbstbewusstere Tatjan (herausstechend brillant sowohl sängerisch wie schauspielerisch gestern mit der Australierin Nicole Car) am Schluss dem lächerlich werbenden Mörder den Laufpass gibt, weil sie sich auch mit dem Hausfrauendasein richtig angefreundet hat (sic!) und nicht den ehelichen Treueeid trotz ihrer andauernden Liebe aufbrechen möchte. Das feudale Ehrengefüge trotzt allen Widerständen – bis heute...


Was wird hier zementiert und mit blutroter Patina übergossen? Wollen wir in der Oper nicht auch endlich aufwachen und im 21. Jahrhundert unsere so wunderbar mögliche Zukunft in die Hand nehmen? Hierzu sei mir erlaubt: Meine Oper CHRONOS wurde letztes Jahr von der zürcherisch städtischen Musikkommission in einer Intrige wie aus dem Bilderbuch richtiggehend ins Messer laufen lassen und letztlich 3 Monate vor der alles vorbereiteten Premiere abgewürgt. Das 21. Jahrhundert muss warten. Zum Glück gibt es heute ausser auf den Opernbühnen keine Duelle mehr.


Matthias Mueller da Minusio, compositore

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