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Writer's pictureMatthias Mueller da Minusio

Das Publikum vergeigen

Selten ist der Operntitel so Programm wie bei der Produktion von Vergeigt des Theaters Basels, von Regiestar Herbert Fritsch. Dass die Regie heute den Opernbetrieb beherrscht und ihr letzter übrig gebliebener Kreativraum im Betrieb der unendlichen Wiederholung des Immergleichen ist, ist schon länger Tatsache. In dem Sinne war der Abend paradigmatisch. Vergeigen heisst bei einer Sache erfolglos sein, etwas verderben. Im Programmblatt steht, dass das Nicht-können bis zum Exzess perfektioniert werden soll (welch Widerspruch!). Direkt nach dem Theaterbesuch komme ich mir ausgesprochen vergeigt vor, womit die Macher ihr Ziel wohl erreicht haben, was der Intention des Vergeigens wiederum widerspricht. Aber gerade dieser Widerspruch wird widersprüchlich gesucht, was wiederum ein Widerspruch ist. Die unendliche Geschichte des hohlen Zahnes wird hier theatralisch zelebriert und dialektisch ins Unendliche (Exzess) getrieben.


Wenn ich nach dem Spektakel nicht eingehend mit den Künstler:innen und insbesondere meinem Instrumentenkollegen und Freund Reto Bieri hätte länger sprechen können, wäre meine Bilanz und dieser Text ganz anders ausgefallen. Ich habe nämlich wirklich nicht begriffen, was das repetitive klischeehafte Getue und Nichtgetue soll und was es mir sagen möchte. Ich wurde immer genervter und genervter, vergeigter und vergeigter. Das Wort verklarinettet gibt es ja nicht, was aber hier treffend wäre, weil mein wundeschönes Instrument durch Bieri optisch zum Protagonisten wird und vom Klarinettenständer bis zum Blattschutz als kreativer Steinbruch diente. Der schöne Klang Bieris blieb uns allerdings vorbehalten.


Vergeigt ist alleine eine optische Angelegenheit, weil während dem ganzen Abend kaum ein Wort fällt und auch kaum Musik erklingt. Da vergeigt es das Theater Basel schon mit seinem Publikum, weil sie die Produktion als Oper anpreist. Die Quittung: Der Saal war zu 10% gefüllt. Gut, Ligeti schrieb eine Anti-Anti-Oper (die er selber noch zurückziehen wollte) und Fritsch machte mit seinem Künstlerteam die perfekte Antioper. „Über das Versuchen und das Nicht-Können“ steht im Programmzettel. Gabriela Kaegi rückt den Phantasieabend in die Nähe von Dada. Da guckt die Frage und Kritik um die Ecke: Ist das nicht eine ästhetische Haltung meiner Väter- und Grossmuttergeneration, die sich mit dem affirmativen Werk so schwer tat und unter der Ägide von Adorno und wenn man will auch Heidegger, nur die Infragestellung jeglicher Grundlagen als künstlerisch legitim betrachteten? In der Folge des Holocaust eine verständliche künstlerische Haltung.


So kam ich mir dann auch vor: Ich sass offenbar im falschen Film – wähnte mich in einer entrückten Zeit, die nicht meine ist. Ich kann einen zeitgenössischen Opernabend ja nicht anschauen (sonst meistens auch anhören) ohne es vor der Blaupause meiner 400-seitigen Partitur von CHRONOS zu tun, an der Oper an der ich 10 Jahre gearbeitet habe. Ein Werk, dass hoffentlich bald einmal ihre Geburtsstunde erleben darf. Schweizer Künstler:in in der Schweiz zu sein ist ein GAU – Schweizer Komponist in der Schweiz zu sein und nicht Holliger zu sein ist der wahre Super-GAU. CHRONOS will 180 Grad etwas anderes: Sie will mit Inhalt das Publikum direkt mit meisterhaftem Können in ihren Bann ziehen. Nach dem Motto Ne sutor supra crepidam! machen alle nur das, in was sie Meisterschaft erlangt haben. Fritsch hingegen frönt der Ästhetik des Avantgardismus, die alles verkehrt und dem Publikum einen beliebigen Schrotthaufen resp. eine nihilistisches Nichts präsentiert.

Ich versuche nun wie gestern auch, einfach alle meine persönlich gefärbten Gedanken zu vergessen und positiv und offen dieser Produktion gegenüberzustehen. Aber es wird mir schwer gemacht. Dem wenigen Publikum auch. Demonstriert wird die Hilf- und Ideenlosigkeit. Wenn das gewollt war, müsste es ja melancholisch und dunkel sein und der Depression Ausdruck verliehen werden. (Oder wie bei der brillianten Intolleranza 1960 des Theater Basels das Grauen unter die Haut fahren lassen: https://www.matthiasmuellerdaminusio.com/post/intolleranza-1960-theater-basel-21-2-23) Der Abend ist aber ausgesprochen farbig und hell. Das prägende Kunstmittel wird in der Broschüre zur Aufführung auch noch prominent erwähnt: Slapstick.


Beim Anhören kam mir immer ein Gedanke: Als Kind im Familienumfeld und als Jugendlicher im Schosse der Clique bekommt man gerne mal das aufwallende Gefühl, sich theatralisch der Mitwelt mitteilen zu müssen. Man macht Theater für die Familie und Freunde und hat Riesenspass bei den Proben und denkt, dass alle um mich herum dasselbe empfinden müssen. Diese kindliche und pubertäre Verblendung wird dann bei der einzigen Aufführung für die Wohlgesinnten entlarvt. Schon die Aufführung ist nicht mehr gleich lustig, wie das Proben und man merkt die müden gesuchten Reaktionen der Nahestehenden verheissen noch keine Theaterkarriere. Dass Fritsch in diese Falle tappt (oder gehört es zum Konzept der Vergeigung) erstaunt.


Bei Vergeigt spürt das Publikum, wieviel Spass und Lust die Darstellenden in der Gruppe haben. Auch Fritsch lässt sich von seinem persönlichen Lustempfinden leiten und es ist ihm egal, wie das für ein Publikum sein kann und welche Wirkung er erzeugt. Seine Haltung lässt ihm im heutigen Theaterumfeld seine Karriere gedeihen. Ich hoffe, er ist sich seiner in Luxus gebadeten Lustoase bewusst. Unsereiner kramt nach jeder trockenen Krume Brot.


Meine Position ist eine sehr andere: Nach Jahrzehnten der Negation und Infragestellung will ich zur radikalen Affirmation zurückkehren, denn nur so können wir Künstler:innen wieder ein Publikum gewinnen. Die Publikumsbeschimpfung Handke’scher Handschrift ist für mich vorüber. Nie würde ich mich anbiedern oder dem Publikum Sirup in die Ohren träufeln wollen. Aber ich will Werke in Meisterschaft erschaffen, wie das meine Vorbilder der hohen Kunst auch taten. Dafür habe ich studiert und arbeite täglich hart unengeltlich.


Denn eine weitere sei mir erlaubt: Auf dem Programmzettel von Vergeigt steht auch markant das Wort Slapstick. Vor der Kunst der Clownerie habe ich hohen Respekt. Fritsch offenbar nicht. Seine allesamt hervorragenden Künstler:innen auf dem Parkett dilettieren einen Abend lang im Lustig-sein. Es sind ja Schauspieler, die die gesprochene Sprache zur Bühnenwirkung bringen können. Hier bei Fritsch schweigen sie konsequent. Gerade der Slapstick ist höchste Kunst und immer eine persönliche. Seit dem Clown Grock und Charlie Chaplin ist es ein Allgemeinplatz, dass die Clownerie höchste Präzision und Detailversessenheit verlangt. Die Schweizer Meister Ursus und Nadeschkin lieferten Nummern, die Nonsense zu einer wunderbaren Wirkung brachten. Aber sie sind Spezialisten ihres Faches und arbeiten Detail-versessen. Künstler der Sprache und Musik können das nicht und wirken nur eines: Peinlich. Bieri spielt nur verzerrt und verfremdet ein paar Töne Kopachinskaja krächzt fidelnd, wie wir es von ihrer dominierenden Omnipräsenz nun schon zur Genüge kennen. Hier passt es und das vom Lucerne Festival vermittelte Duo Fritsch/Kopachinskaja harmoniert!

In dieser Verdrehung und Vergeigung wird der Abend dialektisch auch zum gelungenen. Als einsamer Mohikaner im Publikum werde ich herausgefordert und muss mir Fragen stellen lassen wie: Ist die Oper nun endgültig am Ende? Bin ich als komponierender und Partitur schreibender Künstler, der versucht seine Werke aufführen zu lassen, endgültig ein Fossil, das ganz neben seinen Schuhen steht? Ich habe mein Heu auf einer ganz anderen Bühne als Fritsch, aber könnte es sein, dass er mit seiner Negationsästhetik der Vergangenheit angehört und nun ein Zeitalter der Affirmation auch in der Komposition wieder eine Plattform erhält? Einfach so wie es die Literatur, der Tanz, die bildende Kunst und der Film seit 1970 (man kann auch von der Postmoderne sprechen) schon lange tun?


Dem Theater Basel darf ich auch diesmal wie nach Intolleranza 1960 ein Kränzchen winden (siehe oben). Der Mut mit einer solchen Produktion der Leere, die gähnende Leere im Saal zu riskieren, verdient Applaus. Nach der tabula rasa von Vergeigt und der Totaleliminierung des Komponierenden aus der Oper, wäre nun der nächste Schritt angesagt: Lasst auch uns Tonsetzenden wieder mal etwas Kreativ- und Gestaltungsraum. Unsere Partituren liegen dazu bereit.


Matthias Mueller da Minusio 15. Juni 2023

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