Kunst lebt davon, dass sie von einem Publikum rezipiert wird. Sie entsteht im Privaten und Persönlichen, will und muss sich aber in den öffentlichen Raum bewegen. Der oder die Künstler:in ist im Entstehungsprozess ganz frei – heute so oder so. Tritt Kunst aber in die Intersubjektivität und Sozialität, wird die hehre künstlerische Freiheit arg gebeutelt. Frührer in monarchistischen Gesellschaften und heute noch in diktatorischen Regimen droht dem:r Erschaffenden gar Gefängnis bis Tod.
In unseren (noch) aufgeklärten Gesellschaften ist dem zum Glück nicht so. Die Machtmechanismen sind subtiler. Heute wird der oder die aufmüpfige und querdenkende Künstler:in mit Nichtbeachtung bestraft. Dabei ist es weniger die politische Macht, die lenkt. Es ist viel mehr die Blase resp. das System (Luhmann), das seine Gruppenzusammengehörigkeit, die von Privilegien unterstützt wird, damit zu erhalten glaubt, Andersdenkende und Infragestellende vor geschlossene Türen zu setzen. Draussen ist es kalt und es geht an die Substanz und Existenz, die als Künster:in eh sehr prekär sind.
Das Rampenlicht ist für eine:n Künstler:in nicht nur mit persönlicher Genugtuung verbunden, die Anerkennung der Wichtigkeit und Qualität einer Arbeit entscheidet auch, ob Weiteres überhaupt entstehen kann, resp. ob ein sich entwickelndes Werk überhaupt erschaffen werden kann. Die Geschichte zeigt, dass Künstler:innen aus eigenem Antrieb und Willen handeln und auch gegen widerliche Widerstände anschreiben oder -komponieren. Das Schicksal eines Franz Schubert zeigt aber, dass die menschliche Psyche und so dann auch die physische Gesundheit das nicht lange aushalten. Er starb mit 31 Jahren. Die Beispiele Schumann und Mahler zeigen auch, dass ohne ein Mindestmass an Anerkennung, die künstlerische Psyche grossen Schaden erleidet. Diese psychosomatische Sichtweise erlaube ich mir hier. Psychische Krankheiten, wie bei Schumann lassen sich auch rein intrinsisch erklären – für mich greift das zu kurz. Mahler war als Operndirigent 10 Jahre in Wien geduldet, bevor er schmäh nach New York fliehen musste. Seine physische Krankheit war angeschlagen und dass New York trotz seiner Erfolge dort für einen Österreicher aus der kulturellen Hochburg Wien kommend nicht einfach – sprich auch gesundheitsfördernd war – ist evident. Er musste schwerkrank zurückkehren und starb. Natürlich hätte die heutige Medizin hier geholfen und den Tod wohl verhindert. Aber die These, dass ein:e Künstler:in auf eine gesunde Resonanz angewiesen ist, die ihm auch die Lebensgrundlage bietet, wird bestätigt.
Gerne schauen die gebildeten Kunstliebhaber:innen, die auf ein festes Einkommen zählen können, in die Kunstgeschichte und im Falle der Musik, lesen sie sich an den Schicksalen der Genies der Vergangenheit satt. Auf die Idee zu kommen, mal zu schauen wie es heute steht für lebende Tonschöpfer:innen, kommen die wohlig situierten Unternehmer:innen, Anwält:innen, Manager:innen, Festangestellte:n etc. nie. Die Lage ist in der Musik aus einem Grunde auch nicht mehr prekär: Es gibt die Musikprofessur, die ein materielles Auskommen ermöglicht. Bekommt man diese nicht, was nicht immer mit Qualität zu tun hat, wird es sehr heikel. Lebens- und schaffenseinschränkender Unterricht auf voruniversitärer Stufe ist möglich oder Fremdeinkommen, wie z.B. die Organisationstätigkeit, können Abhilfe verschaffen, lassen aber profesionelles Künstlertum eigentlich nicht zu.
Ich bin nur noch Komponist und auch Musiker, weil ich mit 29 das Glück hatte, meine Traumprofessur zu erhalten, mir erblich etwas Geld zur Verfügung steht und die hervorragende Medizin, mir über die Klippen hilft. Das Leben als Schweizer Komponist in der Schweiz ist ein Trauma. Warum es gerade in der reichen und kunstliebenden Schweiz besonders traumatisch ist, kann ich hier nicht weiter ausanalysieren. Die Nationale Komponente ist auch nur das Eine. Dass die Komposition im Moment zu einer bis aufs äusserste bedrängte Künstlerexistenz führt, ist ein internationales Phänomen und beruht sowohl auf Selbstverschulden der Komponist:innen, die sich seit über 100 Jahren in Europas künstlerischen Zentren gerne in ihre esoterischen Zirkel und geistig-goldigen Käfige zurückziehen, der interpretierenden Musikerfamilie, die sich lieber am Altbekannten erlabt, als den mühsameren Weg der Suche nach Neuem und der Gestaltung der Zukunft Ausschau hält - aus der Arroganz und Ignoranz der mächtigen Musikverwalter, denen es in erster Linie ums einfache Geldverdienen geht – und natürlich auch dem Publikum, das in der grossen Masse lieber Sirup und Bekanntes in die Ohren geträufelt bekommt, als Musik als Kunst der geistigen Auseinandersetzung zu verstehen. Diese ist eine oberflächliche Pointierung einer präziseren Analyse, die ich in meinem Buch Die Avantgardefalle vorgenommen habe.
Dass ich es dabei nicht belasse und auch kämpferische Töne nun schreibend und diskutierend anstimme, bekam mein Umfeld seit wenigen Jahren zu spüren, das evtl. etwas überrascht wurde, weil ich 30 Jahre zum Selbstschutz im kulturdiktatorischen Umfeld Schweiz, schweigen musste. Wenn man mal nichts mehr zu verlieren hat, kann man getrost auch seine Feder spitzen. Sicherheitshalber habe ich mich aber bereits ins komponierende Exil im Tessin begeben – künstlerische Arbeit braucht bekanntlich ja Ruhe und viel Zeit.
Um doch ein Mindestmass an klanglichem Erlebnis zu haben, habe ich nun meinen Rückzug in die Bedeutungslosigkeit offiziell angetreten. Ich kann nur im privaten mir zur Verfügung stehenden Raume Konzerte machen und sie für die Öffentlichkeit für zugänglich erklären. Es geht nur, weil meine treuen hervorragenden Mitmusiker:innen bereit sind, für die Kunst und nur für sie alleine, Ausserordentliches zu leisten.
Meine sarkastischen und indirekt provokativen Facebookeintragungen und Infragestellungen verpuffen ungehört, mein Blog, zu dem dieser Text gehört, versinkt im Nichts, da mache ich mir keine Illusionen. Kunst ist für mich schon lange alleine eine Lebensform des Trotzes. Was mich schon noch zu erstaunen vermag, ist, wie die Obrigkeiten der Kulturmacht, nicht einmal zu Antworten auf Schreiben und Anfragen, die ganz sachlich und in Mozartschem Tone der Anständigkeit gehalten sind, zu bewegen sind. Sind das Anzeichen einer Dekadenz der Einbunkerung der Mächtigen? Leider auch bei uns, wenn auch subtiler?
27.4.2023 Matthias Mueller da Minusio
Lieber Matthias. Spannender Artikel. Meiner Meinung nach gibt es "die Mächtigen" nicht. Die (Kultur-) Welt ist divers und unglaublich vielfältig geworden. Die häufig banalisierte Medienwelt gibt zusätzlich noch ihren Senf dazu. Dementsprechend sind auch die Haltungen zu musikästhetischen Fragen unglaublich divers. Darauf werden längerfristig auch die "Bewahrer der klassischen Pfründe" reagieren müssen oder tun dies bereits....