Es gehört sich nicht, einen solchen Text zu schreiben. Aber sollen wir Künstler:innen nicht gerade das tun, was sich nicht nur gehört und angepasst ist? Sollen wir nicht in Frage stellen und unsere Existenzen und unsere Gegenwart beleuchten? Heute feiert die Schweiz und Lobeshymnen mit etwas Warnung gewürzt werden landesweit von Rednerpulten den kopfnickenden Patriot:innen butterweich in die Ohren geträufelt.
Das vor über 170 Jahren durch eine 1. Verfassung gefestigte Gebilde Schweiz hat sich nie um die Wichtigkeit von Kunst und Kultur gekümmert. Es steht auf ihrer eigenen Website in ehrlichster Weise. Gerade auch die Kulturbotschaft 2025-2028 der Schweiz, wofür die Vernehmlassung läuft, zeigt das kümmerliche und zufällige Flickwerk, das die Schweizer Kulturpolitik darstellt bis in wohl weite Zukunft. Wir leiden ja nicht darunter als Gesamtgesellschaft, dass wir nicht wie unsere 4 Nachbarn Kulturnationen sind. Die Schweiz ändert sich erst (wie alle anderen Nationen auch) wenn der Tod mit seiner Sense winkt oder gar anklopft. Die Schweiz schickt ihre besten Künstler:innen resp. verbannt sie nach Paris, Wien oder New York. Tragisch ist das nur für die künstlerisch Hochbegabten der Eidgenossenschaft. Allen Banker:innen, Wissenschaftler:innen und Anwält:innen kann das ja egal sein. Sie leben gut hier.
Dass das Bundesamt für Kultur seinen Name (noch) nicht wert ist und die Pro Helvetia ein Brosamen der Gewissensberuhigung ist und zur Spielwiese von Druckversuchen der kunstverabscheuenden politischen Rechten wurde, kommt den Kantonen und Kommunen die ganze Bedeutung zu. Dass all die rührigen Kulturkommissionen in jedem noch so kleinsten Dorf, für Künstler:innen nichts wirklich machen können, ist ja niemandem vorzuwerfen, der:die sich rührig in ihrer Kommune bemüht. Jeder Kanton ist stolz auf sein Kunstmuseum oder seine Kulturförderpreise. Kein einziger Kompositionsauftrag noch deren Uraufführung, kann z.B. so entstehen – Opernschaffen ist deshalb quasi tot in der Schweiz. Am meisten gefeiert werden dann alle Künstler:innen, die sich im Ausland einen Namen verschafften. Ein Eingestehen der eigenen Selbstlosigkeit und Inkompetenz.
Wie oft hört man als Künstler hierzulande: Künstler:innen haben es immer schwer im eigenen Land und zu allen Zeiten! Es stimmt in dieser Hinsicht: Künstler:innen werden zwar verehrt, aber immer von den wohlhabenden Akademikern und den rechten Nationalisten mit Füssen getreten. Warum? Da überlasse ich weitere Analysen den Psycholog:innen, Soziolog:innen und Politolog:innen. Der Satz ist eben dahingehend ungenau, dass es nie und nirgends gleich ist! Geschichte wiederholt sich nie und das Leben ist immer vielfältig. Der generalisierte Satz ist eben nicht richtig, sicher höchst ungenau.
Meine These, dass es nichts Dümmeres gibt, als ein:e Schweizer Künstler:in in der Schweiz zu sein, darf bitte widerlegt werden. Sicher gibt es Ausnahmen, aber die belegen ja nur die Regel. Arthur Honegger, Frank Martin, Mathias Rüegg, Beat Furrer, Daniel Schnyder, Sylvie Courvoisier, Beat Fehlmann...um einfach einmal ein paar Namen meines Fachgebietes hinzuwerfen. Sie machen Musikkarriere im Ausland. Die Skandinavier sind kleine Länder wie wir, aber haben einen kulturellen Eigenstolz. Das wird ohrenfällig überall. Ben Vautier hatte 1992 eben ziemlich recht mit: La suisse n’existe pas. Die Coronakrise hat das Elend der isolierten machtlosen working poor der Künstler:innenexistenzen etwas ins Rampenlicht gezerrt. Damit ist nun schon wieder zu Ende – die Solidarität versiegt. Der unmittelbare bedrohende Virus ist medizinisch besiegt.
Die Schweiz verkauft sich weiter. Dank ihres Reichtums hätschelt sie weiterhin manche Stars und erlaubt ihnen einen schönen Lebensabend. Dass die Legende Charly Chaplin in der Schweiz am Ende seines Lebens den Blick auf den Genfer See genoss, dass Paul Klee in Bern geboren wurde und in Muralto starb, Hermann Hesse seine Elogen auch im Tessin verfasste, sie verhelfen der Schweiz ebensowenig zu einer Identität, wie Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, die in Deutschland als deutsche Autoren der Weltliteratur wahrgenommen wurden. Honegger wollte gar nicht als Schweizer wahrgenommen werden. Giacometti wohl auch nicht.
Der Musikethnologe und Kollege an der ZHdK Dieter Ringli schrieb ein fantastisches Buch über Schweizer Volksmusik. Es ist rührend zu lesen, wie das heutige Alphorn von Berner Intellektuellen für das 1. Unspunnenfest 1805 erfunden wurde und erst im 20. Jahrhundert richtig populär wurde, wie das Jodeln von den Tirolern abgekupfert wurde und der Business gewiefte Drucker Stocker Sepp mit seiner 1. Unterwaldner Bauernkapelle die Schweizer Volksmusik um 1920 erfand. Das ist durchaus legitim, man muss halt vom Mythos der Schweizer Volksmusik sprechen, wie vom Mythos Rütli, Mythos Tell. Mythen ist auch nichts vorzuwerfen (als Künstler schätze ich sie ja ausgesprochen) – aber man muss sie als solche behandeln. Aber man darf nicht meinen, wir hätten eine Volksmusik, die aus dem Volke der Schweizer:innen aus Jahrhunderten entstanden ist. Alles Fake und ein beliebtes Sujet für Selbstbeweihräucherung und rechte politische Propaganda.
Blocher wie DJ Bobo haben das erkannt. Blocher trompetet und gestikuliert seine historischen Verzerrungen seit Jahren erfolgreich übers Land. DJ Bobo hatte sich darauf spezialisiert, alles abzukupfern und gut Geld zu machen. Mehrere Prozesse wurden ihm angehängt wegen Urheberrechtsverletzungen. Sein Hit Chihuahua ist eine perfekte Mamboadaption, eine Musik, die 1930 in Kuba entwickelt wurde. Nichts gegen seine Musik und Verdienste, aber der Schweiz gibt das weder Selbstvertrauen noch Identität. Auch hier bestätigt die Ausnahme die Regel: Mani Matter, der Mozart der Liedermacher! Dichterisch unerreicht, musikalisch hat er auch alleine Georges Brassens kopiert.
Wir leben gut, auch wenn Mahnmale wie Swissair und Credit Swiss unsere Abstürze der überschätzten Kleinheit zieren. Wir sind ein kleines Land, das in der Welt immer mehr gemieden und attakiert wird. Unser ehemaliger Bundesanwalt Lauber kann hier nun ein Hurrican erleben. Das verdanken wir der Nabelschau einer immer selbstverwöhnteren und selbstverliebtereren helvetischen Demokratie, die sich selbst verkauft und der das Schicksal von Ukrainer:innen schlicht egal ist und unter dem Namen Neutralität weissgewaschen wird.
Dies als Nation und deren Politik - es gibt die andere Schweiz. Wetten im Herbst 23 werden die SVP mit ihrer erklärten Fremdenfeindlichkeit und Künstleraversion Erfolge feiern? Wetten die Grünen werden abgestraft, weil uns als Gesamtgesellschaft die Klimakrise schlicht egal ist, weil wir ja nicht persönlich bedroht werden? Feiern wir doch unsere Dekadenz, fliegen in alle Welt in die Ferien und trinken Cüpli um Cüpli. Ist doch egal, wie es unseren Kindeskindern geht. Oh Du egoistische Schweiz! Wenigstens begehen wir aktiv keine Kriegsgreuel und schummeln uns kurzfristig erfolgreich scheinmoralisch neutral geseift durch die Weltpolitik.
Kritik will die Schweiz nicht hören. The Party must go on! Nestbeschmutzer wie mich muss man ignorieren und still legen, resp. weiterhin unter Verschluss halten. Dabei gäbe es ja die wunderbare Schweiz: Wir haben die beste Demokratie, die für viele Länder ein Segen wäre. Wir haben eines der besten Bildungssysteme mit guter Allgemeinbildung und exzellenter Spitzenausbildung. Wir sind Weltmeister sowohl bei den Patenten wie im Musikschulwesen. Wir sind sprachlich gewandt. Wir sind oft unabhängig denkend, weil national nicht so vorbelastet. Auch das Cliché der Arbeitsamkeit stimmt. Wir versuchen Kriege und Konfrontation mit Kompromissen zu umgehen. Die Liste kann verlängert werden.
Warum begab sich dieses Land unbegründet und freiwillig in die Geiselhaft des Sand-in-die Augen-streuenden Egoisten Blocher und seinen Adlaten, Köppel, Aeschi, Glarner, Somm (alles stramme Herren) unter dem Deckmantel des Schweizerseins; um gleichzeitig diese zu schwächen, gefolgt von nahezu 30% der Wähler:innenstimmen? Sie kennen nichts: Die ehemals hervorragende Weltwoche ist deformiert und eine Profilierungsplattform für den Besserwisser aus Zürich. Der ehemals satirische Nebelspalter ist endgültig selber zur Satire verkommen.
Alle Despoten wissen um die Wichtigkeit der Kommunikation und Medien. Wenn man die Kommunisten als links bezeichnen will, weil sie sich ein Mäntelchen des politisch missbrauchten Marx umhängten, könnte Despotismus allgegenwärtig sein. Aber totalitäres Verhalten ist im Ursprung eine rechte Eigenheit. So sind es im demokratisch aufgeklärten Westen jene, die mit ihrer Kapitalmacht sich die Medien als Eigentum einheimsen. Berlusconi mag grüssen und hier als europäisches Mahnmal gelten. Wetten die SVP wird bald erfolgreich die SRG zerstückeln? Blocher wird mit seiner Intellektuellenablehnung zeitlebens wüten und seine Fäden ziehen. Alles Reflexe rechtsnationalen Gebarens. (Als Professor grüsse ich den Doktor, studierten Oekonomen und Spezialisten der Volksverführung ganz herzlich.) Aber die Basler haben ihm die rote Karte gezeigt, bravo Bebbis! Wären unsere Verfassungsschreiber im 19. Jahrhundert nicht so clever gewesen, hätten wir auch eine Selbstdestruktion betrieben wie Reagan, Bush und Trump in einer ehemals besten Demokratie und analog paradigmatisch nun die Brexit-enthustiasten der britischen Insel, bei denen nicht nur das Haar wirr geworden scheint.
Weltreiche wie das römische, das grosse britische, die USA und nun in tragisch-brutalster Weise das russische tendieren sich irgendwann selbst zu zerstören und wählen selbstdestruktive Anführer oder ihr Imperialismus wird historisch als Luftschloss entlarvt.
Meine bissige Stimme verhallt, da mache ich mir keine Illusionen. Einfach schade, dass la suisse n’existe pas sich immer mehr manifestiert. Ich weiss, ich bin nicht alleine der dagegen seine Kunststimme erhebt. Wir sind im Moment arg zurückgedrängt und kämpfen ums Überleben. Es ist das Los der Kunst, in der Abgedrängtheit und bedeutungslosen Abgeschiedenheit zu erschaffen. Die Hochfinanz will sicher einmal ihren Profit daraus schlagen und sich die Ohren wie bei den Idolen und Lebensschicksalen Mozart, Schubert und Mahler etc. vollstopfen. Die edlen Damen und Herren zieren sich immer mit ihrem Kunst(un-)sinn und lullen ihr unterschwellig angekratztes Gewissen damit ein. So können sie auf den Schultern von tragischen Lebensverläufen abgeschlossen unter Ihresgleichen sich ihrer Scheinbedeutung gewahr werden.
Aber Vautier war unpräzise: La suisse existe quand même! In Verborgenheit und Verlorenheit.
Matthias Mueller da Minusio 1.8.2023
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